Natur des Bösen

Nachdem wir das letzte Mal über das Fundament der antagonistischen Kraft gesprochen haben, gehen wir heute etwas weiter und untersuchen, was unserem Bösewicht zu Größe verhilft.

Tragweite

Für mich übersetzt von hier.


Abhängig davon, wie umfangreich unsere Geschichte ist, haben wir womöglich nicht nur mit einem, sondern gleich mehreren Antagonisten zu kämpfen. Damit meine ich nicht, dass wir die gesichtslosen Schläger von Bösewicht A als eigenständige Charaktere bis ins letzte Detail ausarbeiten. Vielmehr ist es die Differenzierung verschiedener Ebenen oder die Abstrahierung von einander, die sich in fünf zentralen Formen zeigt.

  1. Global
  2. International
  3. National
  4. Gemeinschaft
  5. Persönlich

Wir stellen uns die Frage: Welcher Antagonist ist verantwortlich für eine dieser Bedrohungen?

  1. Global
    Dies sind Bedrohungen gewaltiger Ausmaße, ausgelöst durch Schurken, deren Ziel die Weltherrschaft oder ihre Zerstörung ist. So zum Beispiel der Gott Beerus aus dem Dragonball-Universum, der mit der Vernichtung des Planeten droht, serviert man ihm kein schmackhaftes Essen. Doch muss es sich nicht zwangsweise um eine Person handeln. Wie die Frage nach dem Wer oder Was schon erwähnte, kann es sich ebenso um eine gestalt- oder motivationslose Kraft handeln. Etwa ein Meteorit, dessen Einschlag die Existenz allen Lebens bedroht, wie in Armageddon.
  2. International
    Dies sind Auseinandersetzungen zwischen Staaten. Jeder große Krieg fällt unter diese Kategorie, doch gleicherweise unbewaffnete Konflikte, wie diplomatisches Geplänkel oder Sanktionen. Game of Thrones ist ein Paradebeispiel für diese Art der Auseinandersetzung. Doch auch wenn es die Interessen von Staaten sind, die sich aneinander reiben, lässt sich aller Antrieb dafür auf eine Person oder eine Gruppe herunterbrechen. Wer steht an der Spitze der politischen Ordnung? Wer hat das Oberkommando über die Streitkräfte? Bei Game of Thrones ging eine Bedrohung nicht direkt von allen Lennisters und den Menschen in ihrem Hoheitsgebiet aus, sondern vom Oberhaupt der Familie, Tywin Lennister.
  3. National
    Bedrohungen innerhalb eines Reiches. Bleiben wir bei Game of Thrones. Während Rob Stark mit einer Armee auf dem Weg in den Süden ist, um seinen Vater zu befreien (internationale Bedrohung), bleibt sein Bruder Bran zurück in Winterfell und kümmert sich um die Belange der Bevölkerung. Nur weil Krieg herrscht, lösen sich andere Probleme nicht in Luft auf. Diese Tatsache kann weitreichende Folgen nach sich ziehen. Zum Beispiel dann, wenn einzelne Personen oder Gruppen, aufgrund der internationalen Komplikationen, um die sich das Staatsoberhaupt kümmert, ihre persönliche Belange nicht ausreichend beachtet finden und die Gunst der Stunde nutzen, um einen Putsch zu planen. Bestens gezeigt bei Robin Hood. Während der König auf Kreuzzug ist, reißt Prinz John den Thron an sich und richtet seine Terrorherrschaft ein, gegen die sich der Bogenschütze zur Wehr setzt.
  4. Gemeinschaft
    Immer weiter grenzen wir den betrachteten Personenkreis ein, bis wir uns im nahen Umfeld der Helden wiederfinden. Familie, Freunde, Mitstreiter. An dieser Stelle, mehr als zuvor beginnen die Grenzen zwischen Gut und Böse zu verschwimmen. Rufen wir uns wieder in Erinnerung, dass die antagonistische Kraft nicht zwangsläufig böse sein muss, sondern nichts anderes als den Zielen und Wünschen der Protagonisten im Weg steht. Manchmal sogar mit den besten Intentionen.
    Das können liebende Eltern sein, die ihrem Nachwuchs den Kontakt zu ihren Freunden untersagen oder sie an eine andere Schule schicken, weil sie ihr persönliches Weltbild auf ihr ihre Kinder übertragen. Oft gipfelt diese Auseinandersetzung in der Aussage „Ich will doch nur das Beste für dich.“
    Anders war es bei Matrix, als Cypher seine Mitstreiter an die Agenten verrät. Er ist klar von negativen Gedanken angetrieben und macht am Ende keinen Hehl aus der Abneigung gegenüber Morpheus und Neo.
  5. Persönlich
    Letztendlich sind wir auf der intimsten Stufe des Konfliktes angelangt. Es sind die Beziehungen der Helden zu ihren wichtigsten Freunden, Vertrauten und Geliebten. Von diesem Konflikt wird jede Romanze getragen und ist das zentrale Motiv, das am Ende unter Freudentränen aufgelöst wird, wenn sich die Protagonisten endlich in den Armen liegen. In Hitch: Der Datedoktor muss Will Smith die Frau seines Interesses davon überzeugen, dass er echte Gefühle für sie hegt und sie nicht Opfer der „Masche“ wurde, mit der er anderen zu ihrem Glück verhalf.

Verständlicherweise benötigt nicht jede Geschichte alle aufgelisteten Elemente. Doch je größer der Umfang, umso größer der erforderliche Cast an Charakteren. Das gilt gleicherweise für die Anzahl an Antagonisten.
Bei Game of Thrones sind die weißen Wanderer eine Gefahr für die gesamte Welt (global). Der Kampf um den Thron von Westeros ist der internationale Konflikt.
National wäre der Zwist zwischen den Lords vom grünen Tal und den Bergstämmen, die Tyrion später für seine Zwecke anwirbt. Konflikte in einer Gemeinschaft finden sich zuhauf. Uneinigkeit im Rat des Königs über die Ermordung der Targaryen-Kinder, Jons Schwierigkeiten mit den anderen Mitgliedern der Nachtwache oder die Streitigkeiten zwischen den Stämmen der Wildlinge.
Ebenso gibt es unzählige persönliche Konflikte. Etwa in der Beziehung von Sansa Stark und Joffrey Lennister.

All diese Konflikte finden auf unterschiedlichen Ebenen statt. Das bedeutet, sie haben keine unmittelbaren Auswirkungen aufeinander. Zumindest nicht zwangsweise. Doch spielen sie alle eine Rolle in der Hinarbeit zur Auflösung des Themas.
Dahinter verbirgt sich ein System, dass wir für das Plotten unserer Geschichte hernehmen können. Wenn wir wissen, welche Bösewichte es gibt, fällt es leicht, ihre Bekämpfung in einzelne Abschnitte zu gliedern und in Beziehung zueinander zu setzen.
Sagen wir, der Kampf gegen die weißen Wanderer ist das Hauptthema. Darin nistet das komplexe Ringen um den Thron, ohne dessen Ende die große Bedrohung nicht beseitigt werden kann. In diesem Kampf um Macht liegen mal mehr, mal weniger verschachtelt und verzweigt, alle anderen Konflikte, die der Reihe nach abgeschlossen werden.
-> siehe Struktur durch Code

Das Setting

„Zeig mir deine Wohnung und ich sage dir, wer du bist.“

Eine Aussage, die letztlich für jeden Charakter gilt, auch für unsere Schurken. Die Gestalt der Umgebung, in der sich eine Figur aufhält, gibt Informationen über sein Wesen oder über seine Absichten und wir können eine ganze Menge davon vermitteln, ohne die beteiligten Charaktere auch nur ein einziges Mal auftreten zu lassen, einfach indem wir uns umsehen und beschreiben, was vor uns liegt.

Ein Beispiel:
Ein Bösewicht gibt sich nach außen autoritär und streng. Er sorgt für Struktur und Ordnung in der Armee und ist listenreich im Krieg.
Stellen wir uns vor, die Wohnung dieser Figur ist sauber und ordentlich aufgeräumt. Im Wohnzimmer steht zentral ein kleiner Tisch mit einem Schachbrett. Es gibt kaum Dekorationen und alles wirkt sehr funktional.
Demgegenüber stellen wir eine Wohnung, deren Vorhänge immer zugezogen sind. Dreckiges Geschirr stapelt sich in der Küche, überall liegt getragene Kleidung herum, in den Ecken verstauben Spinnweben, deren Erbauer schon lange nicht mehr leben.
Vergleichen wir diese Wohnungen, welcher Besitzer erscheint gefährlicher? Welcher von beiden ist überzeugt von seinem Handeln und wem trauen wir zu, dass er irgendwann unter dem Druck zusammenbricht?

Ein anderes Beispiel:
Der Protagonist erwacht aus einer Ohnmacht und findet sich an einen Stuhl gefesselt wieder. Benommen sieht er sich um.
Er befindet sich in einem dunklen Kellerraum, die Luft ist kalt und feucht. Das einzige Licht entspringt einer Baulampe, die große Schatten an die kahlen Wände wirft. Vor ihm auf dem Boden sieht er die metallene Platte eines Wasserablaufs. Daneben steht ein einzelner, kleiner Metalltisch, auf dem eine Reihe verschiedener Messer und ein Korkenzieher akkurat aufgereiht liegen.
In der anderen Situation findet er sich in einem dunklen Wohnzimmer wieder. Die Fenster sind nicht verhangen, doch stehen unzählige, wild gewucherte Schlingpflanzen auf der Fensterbank, sodass kaum Licht hinein gelangt. Kommoden und Vitrinen sind aus altem, dunklem Holz und um einen Kaffetisch, der mit einem Teeservice aus bemaltem Porzellan gedeckt ist, steht eine vergilbte, muffige Couchgarnitur. Aus einem Transistorradio schallt blechern klassische Musik durch den Dunst und in den Strahlen der Sonne, die sich durch das Blattwerk kämpfen, tanzen dicke Staubflocken umher.
In beiden Fällen ist der Protagonist gefangen. Doch die Unterschiede im Setting haben eine klar unterscheidbare Wirkung. Durch eine überlegte Auswahl der Umgebung haben wir also massiven Einfluss auf das Geschehen. Die Größe der Bedrohung, die Absichten des Entführers, sein geistiger Zustand. Wenn wir uns die Frage stellen, welche Werte eine bestimmte Szenerie vermittelt, können wir sie gezielt für unsere Zwecke einsetzen. Umgekehrt können wir die Szenerie auch benutzen, um die Eigenschaften, die wir einem Charakter zugeschrieben haben, zu verstärken.

Wir müssen also klären, welche Aussage wir mit einer Szene treffen wollen und welche Szenerie die Kraft dieser Aussage möglichst effektiv unterstreicht.

Der Plan

„Hey, Brain. Was wollen wir denn heute Abend machen?“
„Genau dasselbe wie jeden Abend, Pinky. Wir versuchen, die Weltherrschaft an uns zu reißen!“

So sieht’s aus. Was wäre unser Bösewicht ohne den einen Plan, der ihm all seine Wünsche erfüllt und die Welt ins Chaos stürzt? Stellen wir uns vor, jeder Bond-Schurke hätte auf die Ausführung seines Plans verzichtet. Oder die Aliens aus Independance Day hätten nicht beschlossen auf ihre Universe-Domination-Tour zu gehen. Da können sie noch so böse sein, ohne einen Plan zum Ausführen, haben unsere Helden keinen Grund ihren Anzug anzuziehen und aus der Bathöhle zu springen.

Was macht einen guten Plan aus?

Zielstrebigkeit
Der Vorteil vieler Bösewichte ist es, dass sie sich mit all ihrer Kraft auf das eine Ziel konzentrieren können, nach dem es sie verlangt. Sie benötigen kein Team von ausgewählten Superschurken. Sie teilen sich Zeit und Ressourcen ein, wie es ihnen beliebt, sodass jede Aktion sie ein Stück weiter an ihr Ziel bringt.
Doch selbst einen Lex Luthor, der neben seinen dunklen Machenschaften ein Multimilliarden-Dollar-Konzern leitet, zeichnet ein unbändiger Wille aus, den wir zuvor schon im Thema Motivation erwähnt haben.
Es geht dabei nicht unbedingt darum, möglichst schnell an das Ziel zu gelangen. Viel wichtiger sind der maximale Effekt und die Frage danach, welche Taten im Sinne des selbst gesteckten Ziels sinnvoll erscheinen. Kein ernsthafter Schurke mit einem höheren Ziel wird tagtäglich kleinen Kindern ihre Lollis klauen, einfach weil es ihm Spaß macht. Das zeigt uns John Doe im Thriller Sieben. Er bewies ein ungeheures Maß an Ausdauer, während er einen Menschen mästete und den anderen bis zur totalen Erschöpfung hungern ließ. Er folgte dem Plan, der Mission. Letztlich stellte er sich der Polizei und erschuf sich damit eine Bühne, auf der er sein Ziel mit größtmöglicher Wirkung erreichen konnte.

Täuschung
Schon seit der Zeit, als die Schlange Eva dazu verführte die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen, wissen wir, dass List und Trug eine effektive Waffe des Bösen sind. So übermächtig ein Gegner zu sein scheint, ist der erste Schritt seitens der Antagonisten oft ein Akt der Verführung. „Du kannst mich nicht besiegen, schließe dich mir an“, oder „Verrate deine Freunde und ich befreie dich von der Last deines alten Lebens.“ Die Aufrichtigkeit eines solchen Angebotes darf hinterfragt werden und auch, ob die eigenen Erwartungen den Vorstellungen der anderen Seite entsprechen. Immerhin geht es um Gut und Böse und deren Wertvorstellungen sind per Definition schon verschieden. Ein solches Angebot, so verführerisch es klingen mag, hat immer einen Haken, den es zu erkennen gilt.
Doch ist Täuschung nicht nur der reine Akt eine Person oder Gruppe von etwas zu überzeugen, sondern sie dient ebenso der Tarnung und Fehlleitung. Um das zu verdeutlichen, können wir auf die Persönlichkeit des Bösen zurückblicken. Wir fanden dort eine Innere und eine Äußere. Dieses Prinzip der Dualität findet man gleichfalls in den Bestrebungen des Antagonisten, der ein Ziel verfolgt, einen Plan. Doch wie eine schützende Fassade tarnt er sich und seine Motive in etwas anderem. Er gibt vor A zu wollen, obwohl es ihm nach B verlangt. Und wenn es für die Helden schon zu spät ist, enthüllt er seine wahren Absichten und gelangt an sein Ziel.
Dieses Prinzip findet sich vielfach in Film und Literatur wieder. Kriminal- und Gaunergeschichten benutzen häufig Täuschung, um die Polizei hinters Licht zu führen.
Grimar Schlangenzunge aus dem Herrn der Ringe dient als Berater von König Theoden von Rohan. Doch während er vorgibt, stets zum Wohle des Monarchen zu handeln, vergiftet er ihn und stürzt das Reich in Apathie.

Konfliktstrategie
Ein weiterer Vorteil der Antagonisten ist es, dass sie genau wissen, was sie tun. Sie können vorausarbeiten und abschätzen, was passieren wird. Zusätzlich, insbesondere in Serien und Superheldencomics, in denen der Held bekannt ist, weiß der Antagonist, wer sich ihm in den Weg stellt und kann sich explizit auf seinen Gegner vorbereiten. Der Held muss das jedes Mal erneut herausfinden und sieht sich so stets im Hintertreffen.
Um den Helden möglichst effektiv davon abzuhalten, die eigenen Pläne zu durchkreuzen, muss der Schurke entsprechende Maßnahmen treffen, die auf einem

  • persönlichen
  • gesellschaftlichen oder
  • inneren

Level angreifen, mit dem Ziel den Protagonisten und/oder sein Umfeld zu destabilisieren. Die heile Welt wird zerrüttet, Zweifel und Misstrauen gesät. Ein solcher Held, seiner Kraft beraubt lässt sich leichter außer Gefecht setzen, gegen Freunde und Verbündete ausspielen oder sogar auf die dunkle Seite der Macht ziehen. Siehe Anakin Skywalker, dessen Furcht vor Verlust, angestachelt vom Imperator, ihn immer weiter in den Abgrund zieht.


Was ist mit diesen Leveln gemeint?
Das persönliche Level zielt auf die Charaktere ab, die dem Helden am nächsten stehen. So werden Vertraute als Verräter dargestellt oder Liebenden wird eine Affäre vorgespielt. Doch auch der direkte Einsatz einer geliebten Person, um den Helden vor eine unmögliche Wahl zu stellen, funktioniert hervorragend. So bei Spiderman, als Peter Parker sich entscheiden muss, ob er seine Liebe Mary Jane Watson oder eine Gruppe Kinder vor dem scheinbar sicheren Tod retten will.
Das gesellschaftliche Level spielt mit dem Ansehen des Helden in der Gemeinschaft und den Auswirkungen seiner Taten. Denn Helden werden oft nur als solche anerkannt, solange ihr Wirken als überwiegend gut empfunden wird. Dreht man an den Konsequenzen, kehrt sich der Glaube Stück für Stück um und entzieht dem Helden seine Legitimation. So wird Batman, während er dem Joker auf der Spur ist, immer mehr zum Geächteten, bis er am Ende das ultimative Opfer der Selbstaufgabe bringt.
Das innere Level betrachtet die Gefühlswelt und Gedanken des Helden. Das Böse schafft es, ein Grauen zu erzeugen, dass allgegenwärtig wird. So weit, bis der Held nicht mehr fähig ist, den Alltag zu bestreiten, und zu einem Schatten seiner selbst wird. So geschehen bei Detective David Tapp aus dem Saw-Franchise, der einem Serienmörder auf der Spur ist und dabei seinen Partner verliert. Er entwickelt eine Besessenheit für diesen Fall, da er sich sicher ist, den Täter gefunden zu haben. So gerät er von einem respektablen Polizisten zu einem heruntergekommenen Mann, der sein Leben damit verbringt, einem anderen hinterherzuspionieren.

Soweit für heute. Ursprünglich dachte ich, dass ich über die Schurken nur einen Beitrag mache. Jetzt sind es zwei und es kommt in jedem Fall noch ein weiterer. Es ist spannend, in die Abgründe der Seele hinabzusteigen und auch zu sehen, was für großartige Figuren die Geschichte bis heute hervorgebracht hat. //

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