
Willkommen zurück zum Worldbuilding in Oriést, unserem kleinen Inselreich. Beim letzten Mal haben wir herausgefunden, wie viele Menschen dort insgesamt leben und wie versprochen werfen wir heute einen Blick auf die Zusammensetzung der Bevölkerung in der größten Stadt, Almor.
Jede menschliche Gesellschaft unterteilt sich in Gruppen, die sich in Macht und Wohlstand voneinander unterscheiden, in Herrschen und Dienen. Das sehen wir heutzutage, wenn wir von den „Oberen zehntausend“ sprechen, erleben das Prinzip der Hierarchie aber auch im Alltag in der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Grundlegend hat sich dabei im Laufe der Zeit nichts verändert, sodass wir die folgende Annahme aus der realen Welt auf unsere fiktive übernehmen:
Der Großteil aller Macht- und Vermögenswerte liegt in den Händen einer zahlenmäßig geringen Gruppe von Individuen.
Als Beispiel dafür spricht der Vergleich zwischen König und Bauer Bände. Ersterer verfügt über die oberste weltliche Macht und hat sich in der Regel nicht um sein leibliches Wohlergehen zu sorgen. Dafür hat er Bedienstete. Der Bauer hingegen arbeitet zum Wohle seines Lehensherren und ist der Richtbarkeit der Oberschicht ausgeliefert.
Eine wichtige Frage in diesem Kontext ist die Quelle der Machtverhältnisse. In der feudalen Ständeordnung entspringt die gesellschaftliche Stellung eines Individuums seiner Herkunft, ist also durch die Geburt von Gott gegeben. Dieses Modell schließt soziale Mobilität weitestgehend aus. Das bedeutet, es ist für einen Holzfäller nahezu unmöglich, in den Adel aufzusteigen. Ein Kaufmann wird durch sein Vermögen nicht zu einem Adligen, unabhängig davon, ob er wohlhabender oder einflussreicher als ein Mitglied jenes Standes ist. Doch auch umgekehrt, wird in diesem System ein Herzog seinen Titel nicht einfach verlieren.
Dahinter lässt sich durchaus das Streben nach Machterhalt und Unterdrückung erkennen, gerechtfertigt durch den Glauben an eine höhere Ordnung. Das Ganze hat sich im Laufe der Zeit durch die Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards verändert. Technologischer Fortschritt machte die Abhängigkeit an eine Elite obsolet und der Adel verlor an Bedeutung. Doch soweit ist man auf Oriést noch lange nicht und wir können uns an einem starren Ständesystem erfreuen.
Gib mir Zahlen!
In Ordnung. Sollst du haben. Als Disclaimer vorweg möchte ich erwähnen, dass genannte Zahlen und Werte persönliche Ansichten sind, im Bereich gefährlichen Halbwissens. Aus diversen Quellen im Netz herangeholt und für mich als Anhaltspunkt für das Worldbuilding zusammengefasst. An historische Werte angelehnt, die für mich sinnig erscheinen.
Nachdem das geklärt ist, kann es losgehen.
Verteilung der Bevölkerung in Stände:
- Stand (Geistlichkeit und Klerus) – etwa 1 %
- Stand (Adel) – 1 – 3 %
- Stand (alle freien Bürger) – 96 – 98 %
Verteilung der Bevölkerung in Schichten (vornehmlich städtisch):
Oberschicht (Klerus, Adel, Bürger mit Rechtstitel) – 2 – 10 %
Mittelschicht (Bürger ohne Rechtstitel, Handwerker, Einzelhändler) – 30 – 40 %
Unterschicht (Besitzlose Bürger ohne Rechtstitel, Arbeitskräfte) – 50 – 60 %
Der Rest (Prostituierte, Bettler, Krüppel, Geächtete) – bis zu 5 %
Verteilung der Bevölkerung in Schichten (vornehmlich ländlich)
Oberschicht (Klerus, Adel, Bürger mit Rechtstitel) – 1 – 3 %
Mittelschicht (Bürger ohne Rechtstitel, Handwerker, Einzelhändler) – 20 – 40 %
Unterschicht (Besitzlose Bürger ohne Rechtstitel, Arbeitskräfte) – 55 – 70 %
Der Rest (Prostituierte, Bettler, Krüppel, Geächtete) – bis zu 5 %
Warum diese Unterscheidung?
Nun, wir kennen das doch aus dem echten Leben. Je größer die Siedlung, desto diverser gestaltet sich ihre Zusammensetzung und umso komplexer werden ihre Machtstrukturen. Weiter sind Städte aufgrund ihrer Lage und Bedeutung für die Region Zentrum von Macht und Wohlstand. Deshalb findet sich oft ein Wohlstandsgefälle von der Stadt zum Land und die Bevölkerungsstruktur bedarf einer ebensolchen Anpassung.
Wenden wir das Ganze auf Almor an:
Die Stadt profitiert vom regen Handel, der über den Hafen abgewickelt wird. Der Lebensstandard ist vergleichsweise hoch und der Reichtum wird gerne zur Schau gestellt. Doch das hat seine Schattenseiten und so sammeln sich am Stadtrand diejenigen, die ihr Glück versuchen, aber bis jetzt nicht gefunden haben.
Für die Oberschicht setzen wir 8 % der Bevölkerung an. Es gibt viele Adlige, die sich ein schönes Leben unter ihresgleichen machen. Ebenso ist Almor die Residenz des Königs, doch auch die Kirche hat hier ihr größtes Gotteshaus stehen und gilt als Zentrum des Glaubens.
Die Mittelschicht profitiert ebenfalls von der starken Wirtschaft. Der Handel blüht auf und die Handwerker haben volle Auftragsbücher. Diese Schicht ist mit 32% der Gesamtbevölkerung vertreten.
Die wirtschaftliche Kraft der Stadt benötigt ein funktionierendes Fundament. Ein Großteil der exportierten Waren wird vor Ort produziert und es bedarf vieler Hände, damit Almor konkurrenzfähig bleibt. So lebt ein Heer von Arbeitskräften außerhalb der Stadtmauern und macht 56 % der Bevölkerung aus.
Doch während manche ihren Platz in der Gesellschaft finden, haben andere weniger Glück und geraten in einen Strudel aus Armut, Diebstahl und Ächtung. Doch auch die Prostitution hat Hochkonjunktur. So findet sich ein Anteil von 4 % in dieser Schicht wieder.
Gesamtbevölkerung von Almor – 60.000
Oberschicht 8 % – 4.800
Mittelschicht 32 % – 19.200
Unterschicht 56 % – 33.600
Niederes Volk 4 % – 2.400
Diese Zahlen darf man als ständige Bewohner der Stadt verstehen. Die tatsächliche Bevölkerungszahl variiert, da es einen permanenten Strom von fahrenden Händlern und Reisenden gibt. Diese Dunkelziffer nimmt zu, je größer und bedeutender die Stadt ist.
Werfen wir jetzt einen genaueren Blick auf die Oberschicht.
Sie beinhaltet die Geistlichkeit, den Adel, sowie die wohlhabenden Kaufleute und ähnliche Bürger, die sich einen entsprechenden Titel leisten können und über Grundbesitz verfügen. Dabei stellt die Geistlichkeit den kleinsten Teil. Der Adel umfasst nicht nur den Hochadel, sondern auch den niederen Adel, der unter ihresgleichen zwar kein hohes Ansehen genießt, dafür recht zahlreich ist. Diese Gruppe ist etwa dreimal so groß wie der Klerus.
Zuletzt betrachten wir die wohlhabenden Bürger der Oberschicht. Diese Gruppe ist deutlich weitgefasster und lässt sich nicht genau definieren. Die soziale Mobilität ist groß, gemessen am Einkommen, und fluktuiert je nach Laune der Konjunktur. Diese Gruppe soll viermal so groß sein, wie der Klerus.
Daraus ergibt sich folgendes Verhältnis:
Klerus / Adel / Bürger = 1 / 3 / 4
Entsprechend:
Klerus: 4.800 * ( 1 / 8 ) = 600
Adel: 4.800 * ( 3 / 8 ) = 1800
Bürger: 4.800 * ( 4 / 8 ) = 2400
Was fangen wir nun mit diesen Zahlen an?
Einiges. Wir können sie ganz praktisch im Worldbuilding einsetzen, um die Gestalt der Stadt zu definieren. Beispiel: Die Kirche hat in Almor ihren Hauptsitz. Das bedeutet, das geistliche Oberhaupt lebt dort. Deswegen gibt es einen großen Dom, der das Zentrum des Glaubens bezeugt. Weiter wird es eine Art Palast geben, in dem die kirchliche Obrigkeit lebt. Es bedarf eines großen Platzes, an dem öffentliche Messen abgehalten werden, sowie weitläufiger Gärten. Entsprechend muss man bei der Stadtplanung ein ausladendes Gebiet für die Kirche vorbehalten.
Ähnlich verhält es sich mit dem Adel. Gehen wir davon aus, dass die wohlbetuchten weniger eng zusammenleben, als die Bürgerschaft, dann wird das Wohngebiet des Adels im Verhältnis zur Anzahl der Individuen deutlich größer ausfallen. Um wie viel genau vermag ich nicht zu sagen, würde aber auf das drei- oder vierfache schätzen. Das bleibt letztlich aber jedem selbst überlassen, wie die Wohnverhältnisse gestaltet werden.
Bei den wohlhabenden Bürgern finden sich Möglichkeiten, die wirtschaftlichen Strukturen zu definieren, indem wir uns fragen, wie viele ein eigenes Unternehmen führen, oder von den Vorzügen einer größeren Organisation wie etwa der Hanse profitieren. Wer spezialisiert sich auf den Handel mit Pferden und wie viele haben eine hohe Position in einer Bank? Wenn wir sagen, dass es vier große Pferdehändler gibt, dann müssen die irgendwo über ein Wohnhaus verfügen. Sie benötigen Stallungen, Lager, eventuell Arbeiterunterkünfte und außerhalb der Stadt Höfe und Weiden für die Tiere. Womöglich strebt einer von ihnen danach, sein Geschäft aufzugeben, und die anderen drei streiten sich um den frei werdenden Platz. So kann die Differenzierung der Bevölkerung nicht nur das Stadtbild beeinflussen, sondern auch Ideen und Material für allerlei Geschichten bringen.
Die anderen Schichten lassen sich natürlich entsprechend aufteilen, doch benötigt man grundsätzlich eine recht genaue Vorstellung davon, wer oder was alles in der Stadt lebt, bzw. wonach man die Bevölkerung aufteilen will. Für die Mittelschicht könnte man zum Beispiel Handwerksmeister, Beamte aber auch Kleinhändler zählen. Und jede dieser Gruppen lässt sich noch weiter aufspalten, wenn man denn den Drang dazu verspürt. (Beamte: Ärzte, Juristen, Lehrer, etc.)
Wenn ich heute durch die Straßen der Innenstadt gehe, fällt mir immer wieder auf, wie viele Bäcker es gibt. Oder Handy-Läden. Es ist erstaunlich, dass die sich alle halten. Dabei unterschätzt man oft die hohe Bevölkerungsdichte. Sieht man auf’s Land, findet man unter Umständen einen Bäcker im Dorf. Wenn überhaupt. Und der nächste Supermarkt steht im Nachbardorf, ebenso wie die einzige Tankstelle der Gegend. In der Stadt wiederum reiht sich ein Laden an den anderen und aufgrund der vielen Menschen lohnt es sich sogar, sein Angebot zu spezialisieren. Selbes Prinzip geschieht bei Dienstleistungen. Wie groß ist die Anzahl an Ärzten in einer Stadt und wie groß auf dem Land?
Es stellt sich also die Frage, wie viele Menschen ein Angehöriger eines bestimmten Berufes versorgen kann. Leider finden sich kaum bis keine Informationen in dieser Hinsicht, zumal die erste Volkszählung erst im 18. Jahrhundert durchgeführt wurde. Deswegen gibt es für das Mittelalter sogar für die Bevölkerungszahl des gesamten Europas nur Schätzwerte. Von einzelnen Berufen gar nicht zu sprechen.
Was also machen?
Nun, es könnte uns egal sein. Es wird keinen Einfluss auf unsere Geschichte haben, ob wir wissen, wie viele Apotheker in einer Stadt arbeiten, oder nicht. Allein die Tendenz, ob eine gewisse Stadtgröße die Existenz bestimmter Berufe begünstigt, mag einen Sinn für unser Worldbuilding haben. Doch auch das ist im Grunde überflüssig. Denn in unseren fiktiven Welten kann alles möglich sein. Benötigen die Helden auf ihrer Reise eine Unterkunft, dann liegt hinter dem nächsten Hügel eine. Abseits der Städte? Mitten im Wald? Dann stoßen sie eben auf eine stark frequentierte Handelsstraße und die Herberge ist Teil einer Poststation. Es lässt sich alles zurechtbiegen und am Ende kommt es doch nur darauf an, dass sich die Welt stimmig anfühlt, oder?
Gleichwohl hat es seinen Reiz, „genaue“ Zahlen zu bestimmen. Wie stellen wir das an, wenn wir keine Werte zum Arbeiten haben? Wir könnten uns welche ausdenken. Oder wir bedienen uns an den Machenschaften Anderer, die vor ähnlichen Problemen standen.
Auf dieser Seite finden sich einige faszinierende und mehr oder weniger nützliche Generatoren für fiktive Welten und Rollenspiele. Für jetzt interessiert uns der „demographics Generator“. Dort können wir in der unteren Maske bei „Population“ den Wert unserer Siedlungsgröße eintragen und bekommen eine ganze Reihe an Berufen mit der jeweiligen Anzahl ausgespuckt. Feine Sache.
Ich empfehle das verlinkte pdf (unten, Seitenende) zu lesen und, falls wirklich der Drang besteht die Bevölkerung der Stadt genau aufzuteilen, sich einen Tag dafür Zeit zu nehmen und konzentriert daran zu arbeiten. Denn die Zahlen spiegeln unter Umständen nicht die Stadt wieder, die wir erschaffen wollten. Vielleicht sagt uns der Generator, dass bei der angegebenen Stadtgröße 30 Buchbinder ihrer Arbeit nachgehen. Was ist, wenn unsere Kultur gar keine Bücher kennt? Oder es steht eine große Bibliothek in der Stadt und die Weisen der Welt strömen hierhin, um ihr Wissen aufschreiben zu lassen. Und was machen unsere 50 Fischer, wenn die Stadt mitten in der Wüste liegt? Da ist einiges an individueller Feinarbeit gefragt.
Erinnern wir uns: Weiter oben habe ich erwähnt, dass Almor eine Hafenstadt mit regem Durchgangsverkehr ist. Es wird also mehr Herbergen und Hotels geben, als in anderen Städten. Entsprechend mehr Leute, die in diesem Bereich arbeiten. Das bedeutet mehr Gastwirte, mehr Köche, aber auch ein erhöhter Bedarf an Lebensmitteln. Gibt es also mehr Schlachter in der Stadt? Mehr Viehzüchter im Umland?
Und was ist mit dem Hafen? Gibt es viele Fischer? Oder hat man sich auf den Umschlag von Gütern spezialisiert? Gibt es große Lagerhäuser? Was ist mit Lastkränen zum Löschen der Fracht? Gibt es ein Schienensystem, mit dem Waren von den Schiffsanlegern in die Lager gebracht werden?
Zentrale Aspekte im Alltag der Stadt haben weitreichende Auswirkungen auf die Demografie. Doch ebenso hat die Demografie Einfluss auf das Leben der Menschen in und außerhalb der Stadtmauern.
Was ist jetzt der Schluss des Ganzen?
Zahlenspielereien dieser Art sind im Worldbuilding sehr unterhaltsam, erfüllen aber nur bedingt einen Sinn. Der Leser muss nicht wissen, dass im Adelsviertel 47 Anwesen stehen, in denen insgesamt 282 Menschen Leben. Vielleicht genügt es ja, zu sagen, dass der Protagonist an einigen imposanten Wohnhäusern vorüber geht, deren Vorgärten mit fein gestutzten Zierbäumen und allerlei exotischen Pflanzen versehen sind. Solange die genaue Zahl keine Rolle spielt, müssen wir uns keine Gedanken darüber machen. Außer wir haben Spaß daran. //